Was sind Zwangsgedanken – bzw. was halten viele für zwanghaft?
Zwangsgedanken und Zwänge – schon diese Wörter können zu Anspannung und Befürchtungen führen. Viele haben Angst, an einer Zwangsstörung zu leiden oder zu erkranken: weil sie von Zwangshandlungen und von Zwangserkrankungen gelesen haben und denken, sie müssten eine langwierige Therapie machen, um Zwangsgedanken loswerden zu können.
Doch einen Moment.
„Habe ich Zwangsgedanken?“ – das fragen sich viele, und schnell sitzt man hier einem fatalen, negativ wirkenden Irrtum auf. Denn meistens schließt sich auf die Frage nach den Zwangsgedanken auch die Frage nach den Zwangshandlungen an. „Habe ich Zwänge, dann habe ich bestimmt bald auch Zwangshandlungen“, stellen viele fest, die sich die „Definitionen von Zwangsgedanken“ auf vielen Internetseiten und in vielen anderen Publikationen durchlesen.
Aber. Langsam.
Was führt überhaupt zu Gedanken, die sich wie Zwangsgedanken anfühlen?
Wer sich sein Leben in düsteren Farben ausmalt und gesagt bekommt, er leide an einer Zwangserkrankung, müsse damit leben, gegen zwanghafte Gedanken zu kämpfen – wie soll sich ein Mensch dann schon fühlen? Sehen Sie hier auf der Seite über die Salutogenese nach, warum das Fehlen von Kohärenzgefühl einer der zentralen Bestandteile sogenannter Zwangsgedanken ist.
Wenn Leute etwas von Zwangsgedanken hören, dann denken manche an Depressionen, an die Angst, verrückt zu werden, den Partner nicht mehr lieben zu können und viele andere Umstände, die sich natürlich niemand wünscht. Das sind auf den ersten Blick nachvollziehbare, erhebliche Gründe, warum viele Menschen mit Wörtern wie Zwang und Zwänge so viel Furcht verbinden.
Auf den zweiten Blick sieht die Sache mit der Zwangsstörung und den Zwangsgedanken schon etwas anders aus. Es braucht hierzu eine gründliche, eingehen und minutiös genaue Betrachtung der Abläufe, die zu den sogenannten Zwangsgedanken führen. Hierzu könnten Sie eben mal einen kleinen Test machen: Zwangsstörung Test – ein neues Browserfenster öffnet sich – und Sie sehen einen etwas anderen Test als das, was Sie womöglich erwarten :)
Wollen Sie einen Test zu Zwangsstörungen machen, der Sie überraschen könnte?
Klicken Sie hier (es öffnet sich ein neues Fenster) und machen Sie den kleinen Test. Dauert nicht lange. Und dann kommen Sie hier auf diese Seite zurück. Womöglich lesen Sie den Text dann mit einer anderen Haltung sich selbst gegenüber weiter. Hier noch einmal der Link zum Zwangsstörungstest.
Zwangsgedanken bzw. das, was für scheinbar aufdringliche Gedanken gehalten wird, haben so gut wie immer etwas mit dem Vermeiden zu tun:
- Ist es nachvollziehbar, nicht verrückt werden und nicht durchdrehen zu wollen?
- Ist es ein verstehbarer Wunsch, keine Psychose zu entwickeln?
- Ist es verständlich, vermeiden zu wollen, jemandem etwas anzutun?
- Der eiserne Wille, Zwangsgedanken nicht auszuführen – nachvollziehbar?
- Depression, Angststörung, Zwangsgedanken: wer möchte das nicht vermeiden?
Gerade der Versuch, Gedanken zu unterdrücken, führt zu überdimensionalen Gedanken
Die Idee, dass ein bestimmter Gedanke nicht stattfinden soll, bringt genau diesen Gedanken immer wieder hervor. Mit jedem erfolglosen Vermeidungsgedanken wird der zu vermeidende Gedanke gestärkt.
Dieses Prinzip gibt es, seit es Gehirne gibt. Die Energie fließt dorthin, wo die Aufmerksamkeit hinfließt.
- Da unser Gehirn (auch) viel mit Aufmerksamkeit zu tun hat, ist es bei einem unerwünschten Gedanken hellwach.
- Einige Therapierichtungen zielen aber ausgerechnet darauf ab, das Gehirn dabei zu behindern, aufmerksam zu sein.
- Der Versuch, einem Patienten durch kognitives Verhaltenstraining „beibringen“ zu wollen, dass es nicht zu einer schweren Krankheit oder zum Tode führt, mit einem Pyjama im Bett zu liegen, in dem man sich vorher auf dem Fußboden eines Therapieraumes wälzen musste, ist ein krasser Verstoß gegen die guten Sitten und Gebräuche – nicht nur im menschlichen Gehirn.
- Was ist das überhaupt für eine Botschaft? Am Tag nach einer Nacht mit einem Pyjama, der absichtlich auf dem Fußboden verschmutzt wurde, hat der Patient gelernt, dass er daran nicht gestorben ist?
Was sind Zwangsgedanken? Sie sind wie Wasser, das nicht abfließen kann.
Hier ein Definitionsversuch auf die Frage, was Zwangsgedanken nun wirklich sind:
Gedanken, die nicht sein sollen, stauen sich wie Wasser. Sie drücken und belasten und laufen irgendwann über. Je mehr sie vermieden werden sollen, desto mehr steigt der Druck.
Zwangsgedanken Beispiele
Was sind Zwangsgedanken im Alltag? Beispiele für belastende Gedanken:
- Man könnte in der Öffentlichkeit plötzlich etwas Obszönes sagen
- Man müsste, um ein Unglück abzuwenden, einen Ritus ausführen, z. B. Gegenstände berühren oder zählen
- Es wäre wichtig, mit dem rechten oder dem linken Fuß einen Treppenabsatz zu beenden
- Man dürfte, um Strafe abzuwenden, etwas Schlimmes auf keinen Fall denken
- Man müsse, um einen schlechten Gedanken auszugleichen, Selbstbestrafungen durchführen
- Es wäre möglich, ein Flugzeugunglück zu verhindern, indem man längere Zeit mit den Fingerkuppen eine Tischplatte berührt
- Und dann auch: Gedanken mit obszönen, blasphemischen, gewalttätigen und anderweitig bedrohlichen Inhalten
Wer solchen Gedanken die Bedeutung gibt (Bedeutungsgebung ist ein aktiver Prozess, eine Handlung, wie einfach nachzuweisen ist) und verlangt, dass sie auszubleiben hätten, erhebt sie damit in den Stand des Zwangsgedankens.
Mit anderen Worten: Jeder Gedanke eignet sich dazu, zu einem Zwangsgedanken gemacht zu werden.
Und umgekehrt: Jeder als Zwangsgedanke erlebte Gedanke kann in einen belanglosen, bedeutungslosen Gedanken verwandelt werden.
Rigide wirkende Wenn-Dann-Verknüpfungen
So gut wie allen Zwangsgedanken, die sich um das Eintreten bzw. Abwehren von Ereignissen drehen, liegt eine Wenn-Dann-Logok zugrunde.
- Es werden streng formulierte, direkt kausale Beziehungen geknüpft.
- Wenn ich …., dann wird …. eintreten.
- Wenn ich genug ….., verhindere ich ….. .
- Wenn ich nicht genug ……., mache ich mich schuldig, weil dann …. passiert.
Die Illustration mit der roten Verbindung zeigt – natürlich stark reduziert und vereinfacht, also nicht wissenschaftlich – wie man sich so eine einkanalige Vernetzung hilfsweise vorstellen könnte. Tatsächlich gibt es natürlich mehr Verbindungen im Gehirn.
Dieses Modell dient der Veranschaulichung des zentralen Umstandes, der zu der folgenden Beschreibung führt:
Ich kann nicht anders, „die Zwänge sind stärker als ich“ – oder:
„Ich kann nicht anders – Leben unter Zwang“ (eine negative Illusion)
Wer über sich sagt „Ich kann nicht anders“, vollzieht an sich selbst eine massive Intervention. Wird diese Ansicht von außen noch verstärkt, kann sie zur gelebten Realität werden. Doch zum Glück lässt sich auch eine solche Verbindung verändern, indem sie erweitert wird: „Ich kann nicht anders – dachte ich. Doch mein Gehirn ist jederzeit dazu in der Lage, neue, nützliche Verbindungen aufzubauen“
„Wenn-ich-das-denke-(hier-war-die-Zwangshandlung)-erinnert-es-mich-an-mein-neues-Muster»
Solche Wenn-Dann-Begriffs-Ereignispaarungen zeugen auf eine unmittelbare Vernetzung, die wenig bis keine Variationen zulässt. Es wird kaum gedacht: Und wenn ich einmal …. nicht schaffe, dann wird schon nichts passieren.
Alle Ansprüche an sich selbst sind in hohem Maße exklusiv formuliert.
Die Selbstverpflichtung ist hoch – und sie wird eingehalten.
Der letzte Umstand ist sehr wertvoll, wenn es um die Umwandlung (Erweiterung) der bisherigen Muster geht.
Will heißen: Wer dermaßen stabil in Wenn-Dann-Beziehungen sein kann, der kann auch in erweiterten Wenn-Dann-Beziehungen aktiv und zuverlässig werden!