Zwänge, Zwangsstörungen, Zwangshandlungen

Hier geht es um Zwänge, Zwang und Zwangsstörung – die Erfindung eines Krankheitsbegriffs.

Zwang oder Zwänge bzw. Zwangsstörung sind Begriffe, mit denen Gedanken, innere Bilder, Impulse und Handlungen beschrieben werden, die unwillkürlich auftreten. Zwangsgedanken und Zwangshandlungen sind von den Betroffenen natürlich nicht erwünscht. Deshalb versuchen Sie, diese Impulse als ich-dyston („Zwangshandlungen gehören bzw. passen nicht zu mir“) abzuwerten und irgendwie loszuwerden. Die Betroffenen erleben Zwänge und Zwangsvorstellungen als unsinnig und unpassend. Schon diese Einordnung lässt auf die Anwesenheit von Gesundheit schließen – und auf eine Idee davon, dass es anders besser wäre.

Versuche, sich Zwangsgedanken und anderen Impulsen (Zwangshandlungen) mit Kraftanstrengung zu widersetzen bzw. sie dauerhaft und diszipliniert zu unterdrücken oder sogar auszumerzen, sind eher problemstabilisierend. Leider wird in Konzepten wie der Verhaltenstherapie die Verantwortung für das Scheitern von Therapie häufig auf die Patienten übertragen.

Den Menschen wird Behandlungsresistenz unterstellt, wo tatsächlich ein natürliches Sicherheitsbedürfnis besteht. Viele Patienten machen sich dann auch noch selbst Vorwürfe, weil sie die therapeutengeleitete, mit Hilfe eines Reizkonfrontationstrainings beabsichtigte Angstreduzierung nicht erreichen. So stellt sich das Gefühl ein, tatsächlich an einer Zwangsstörung oder Zwangserkrankung zu leiden. Ein ungünstiger Kreislauf aus Leistungsdenken und Versagensangst beginnt.

Überwertige Gedanken von Kontrolle, Verantwortung und die Idee von Schuld

Menschen, die Zwänge beschreiben, versuchen häufig, durch das Vermeiden von „unerlaubten“ Gedanken oder das Ausführen von Handlungen Unglücke oder Katastrophen abzuwenden. Da einerseits das Fehlen eines kausalen Zusammenhangs einleuchtet, andererseits aber ein großer Drang besteht, einem Gedanken oder einem Impuls nachzugeben, entsteht ein Dilemma (Zwickmühle), verbunden mit meist hohem Leidensdruck.

Eine entlastende Zwischenbemerkung: Mit dem Verändern der Beschreibung eines Phänomens ändert sich sofort dessen Wirkung.

Was „ist“ eine Zwangsstörung? Was „sind“ Zwänge?

Zur Orientierung von Psychologen und Psychiatern wurden Handbücher entwickelt (ICD-10 / DSM-5), in denen die vermeintliche Wahrheit über Menschen steht. Der ICD-10 führt in der Beschreibung von Zwängen unter anderem aus:

  • Quälend hoher Leidensdruck für Betroffene und ihr Umfeld
  • Erfolglose Versuche, sich Zwangsgedanken und Zwangshandlungen zu widersetzen
  • Permanentes Wiederholen von Zwangsgedanken, Grübeln, überwertige Gedanken, Impulse und Handlungen

Von außen betrachtet sind die Phänomene im ICD-10 zwar richtig beschrieben, aber der Systemfehler liegt im Umgang mit den Gedanken und Impulsen. In den meisten Psychotherapiekonzepten wird danach gestrebt, Gedanken zu vermeiden und Handlungen nicht auszuführen – bzw. sich dem vollen Druck auszusetzen (sog. Expositionsarbeit oder Expositionstraining). Dies ist jedoch ein Ansatz, der zu vielen Problemen führen kann (z. B. sog. Angstlernen).

Eine Psychologie zur Beseitigung von Phänomenen schafft Probleme, statt sie zu lösen

Zwänge bzw. Zwang oder Zwangsstörung sind Begriffe, die Defizite beschreiben und entstehen lassen. In der Psychiatrie und der Krankenkassen-Psychologie wird überwiegend nach dem gesucht, was auf den ersten Blick nicht gut funktioniert. Deshalb werden die sogenannten Zwänge von Psychologen, Psychiatern und vielen Buchautoren zu den psychischen Störungen gezählt: anankastische Störung, Zwangsstörung oder Zwangserkrankung. Dies hat entsprechend negative Auswirkungen auf Personen, die z. B. den Druck verspüren, einem Drang nachzugeben.

Eine entlastende Zwischenbemerkung: Aus einer anderen Beschreibung eines Phänomens (z. B. „Eine Person zählt täglich mehrmals das Besteck“) ergibt sich ein anderer Umgang mit dem Phänomen.

Auf Zwangsvorstellungen.de werden jene Ausprägungen von Zwängen auf eine andere Art als üblich besprochen, die im ICD-10 unter „neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ genannt werden.

Der ICD-10 zählt bei Zwängen zum Beispiel auf:

  • Zwangsgedanken
  • Zwangsideen
  • Zwangsvorstellungen (Zwangsvorstellungssyndrom)
  • Zwangsrumination (das Wiederkäuen von Zwangsgedanken – oder: Grübeln)

Der DSM-5 hat Zwänge neu definiert

Die Schweizerische Gesellschaft für Zwangsstörungen beschreibt in einem Beitrag aus dem Dezember 2013, wie damals die amerikanische Version des ICD-10 (DSM-V bzw. DSM-5) redaktionell verändert wurde.

Die „Innovation“ im DSM-5 besteht im Versuch, Zwangsstörungen nicht mehr zusammen mit den Angststörungen zu klassifizieren, sondern Zwängen zusammen mit verwandten Störungen aus dem Zwangsspektrum eine eigene Kategorie zu geben.

  • Jede Form von sich wiederholt aufdrängenden Gedanken und Handlungen wurde damit pauschal in Stand einer „vollwertigen Erkrankung“ versetzt.
  • Das ist problematisch, weil sich viele Menschen für gestört oder krank halten, die zunächst lediglich von „überwertigen Gedanken“ oder dem Drang, z. B. beim Treppensteigen die Stufen zu zählen, berichten.
  • Regelmäßig werden Menschen durch Neudefinitionen von Phänomenen in der Fachliteratur zu kranken Personen erklärt.

DSM-5: Kategorisierung führte zum Verlust der Differenzierung

Der DSM-5 hat wesentliche Differenzierungen aufgehoben und damit Probleme erzeugt. Jene Störungen bzw. Störungsbilder, die zu den neurotisch beantworteten Belastungssituationen zählen, werden seit der 5. Auflage des DSM in einer Kategorie mit Dysmorphie, Horten, Trichotillomanie, Exkoriationsstörung, aber auch mit der Sydenham-Choerea, mit substanzinduzierter und medikationsinduzierter Zwangsstörung sowie bakteriell induzierten (PANS / CANS) Zwangsstörungen genannt.

Ich denke, also bin ich – krank?

Das heißt: Wer wiederholt einen bestimmten seltsamen Gedanken erlebt und diesen nicht „abschalten“ kann (das ist wegen der Arbeitsweise des Gehirns nicht möglich und somit kein Anzeichen für eine Störung), wird von Anhängern der DSM-5 für krank erklärt. So krank, als handele es sich um eine bakterielle Erkrankung oder eine Störung aus dem psychotischen Formenkreis, wie sie durch Substanzmissbrauch auftreten können.

Diese Form der Kategorisierung von Zwängen hat erhebliche Auswirkungen auf Gesundheitssysteme, die Psychiatrie, die Psychologie – und natürlich auf die betroffenen Personen.

Zwangserkrankung behandeln – oder: eine Welt kennenlernen, in der es eine eigene Ordnung gibt

Hinter einem als Zwangssymptom oder Zwangserkrankung beschriebenen Symptom(komplex) liegt meistens eine eigene Welt mit einer eigenen, hochwirksamen Wirklichkeit. Wer keinen Zugang zu jener Welt hat, in der Zusammenhänge exklusiv definiert werden, bleibt draußen. Er kann Hilfesuchenden kaum helfen, die unter sogenannten anankastischen Störungen wie Zwangsantrieb oder -handlungen und infolgedessen womöglich unter einer Depression leiden. Mit anderen Worten:

Eine zuversichtliche Zwischenbemerkung: Wer den Zugang zur Welt vermeintlicher Zwänge findet, kann dazu beitragen, dass Patienten ihre Depression und ihre Angst verlieren – und wieder in ein erfreuliches Leben finden.

Zwänge, zwanghafte Gedanken und Zwangshandlungen: Diese Begriffe sagen etwas über die Therapierichtung aus

In der Arbeit mit Menschen, die z. B. als neurotisch zwanghaft oder anankastisch definiert wurden, kommen die meisten Therapeuten an ihre Grenzen:

  • Es wird niemals zum Erfolg führen, gegen ein unwillkürlich laufendes Muster anzukämpfen. Sehr wohl aber kann das Muster – wertschätzend (!) – ergänzt und verändert werden
  • Beim Kampf gegen ein Muster gewinnt immer das Muster; der Alltag ist (so beschreibt es der Patient) bestimmt von den Gedanken über die Ursache „seiner Zwangsstörung“
  • Das wiederum ist – natürlicherweise – mit Angst verbunden: mit der Angst, für immer unterlegen und hilflos zu sein
  • Das Gefühl, von Gedanken bestimmt zu werden und zu einer Handlung mit unerwünschtem Inhalt oder zu aggressiven Zwangsgedanken wie ausgeliefert zu sein – das kann einem tatsächlich die Alltagsfreude nehmen
  • Auch in der Psychiatrie kann man den von einer Zwangsstörung Betroffenen, die sich spätestens hier wie Kranke fühlen, nicht die Therapie bieten, mit der jedes Symptom verschwindet. Schon aus Zeitgründen ist das nicht möglich.
  • In der Psychiatrie wird die Zwangsstörung zusammen mit anderen Erkrankungen wie Depression oder Angststörung für viele Kranke verwendet
  • Deshalb hat man sich auf das Wort „Zwänge» verständigt, weil dieser Kreislauf aus Angst und Depression wirklich wie höhere Gewalt aussieht. Aber eben nur auf den ersten Blick.
  • Wenn scheinbar alle dem Zwangssymptom ausgeliefert sind, ist es das scheinbar schlüssige Konzept in der Welt, man könne nichts machen, ein Medikament oder eine Psychotherapie müsse als Lösung her.
  • Bei etwas genauerer Betrachtung wird sichtbar: ein Denkfehler, der sich durch Konzepte wie die Psychoanalyse und die Verhaltenstherapie zieht.

Mit einem Wort: es ist ein überwertiger und zwanghaft wirkender Gedanke, andere Menschen erfolgreich zur Unterdrückung von Gedanken und Impulsen anleiten zu wollen

Oft gesucht:

Hilfe bei Zwängen

Waschzwang Selbsthilfe